Samstag, 11. März 2023

[ #pflanzenwelt ] Digital: Karlsruher Tulpenbuch


[Retrodigitalisat] Um die schöne Tulpe - ursprünglich beheimatet in Anatoliens Bergen, rankt sich eine der bekanntesten Finanzkrisen der Geschichte: Der erste "Börsencrash". Oder kamen die Tulpen schon durch die Mauren über Spanien nach Europa?

Die ersten Tulpen gelangten bereits fünfhundert Jahre früher nach Europa als bislang angenommen wurde. Das haben spanische Forscher herausgefunden. Demnach wurde die Zwiebelblume erstmals in der sogenannten "Umda" erwähnt, berichten die Wissenschaftler um Esteban Hernández Bermejo von der Universität von Cordoba und Expiración García von der School of Arabic Studies in Granada.

Analdusien.
In dem aus dem 11. oder 12. Jahrhundert stammenden Werk beschreibt der Botaniker Abu I-Jayr die Vegetation Al-Andalusiens, wie der von den muslimischen Mauren beherrschte Teil der Iberischen Halbinsel zu dieser Zeit genannt wurde. Bislang ist man davon ausgegangen, dass die Tulpe Westeuropa erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts erreicht hatte.

Die beiden Forscher und ihre Teams hatten bereits mehr als zwanzig Jahre mit dem Studium unzähliger Schriftstücke andalusischer Botaniker und Agrarwissenschaftler verbracht, als sie auf die Eintragung in der "Umda al-tabib" stießen. Bislang ging die erste Beschreibung der Tulpe in Europa auf Ogier Ghislain de Busbecq zurück, einen Gesandten Kaiser Ferdinands I. Als dieser im Jahr 1554 von seinem Herrn zu Sultan Süleyman I. nach Konstantinopel geschickt wurde, schenkte ihm der Herrscher einige Tulpenzwiebeln.

Nach wie vor noch nicht ausreichend bewiesen ist die Reiseroute, auf der die ersten Tulpenzwiebeln nach Holland gelangten. Holland entwickelte sich gegen Ende des 16. Jahrhunderts zu einem Zentrum für die Tulpenzucht – und ist es bis heute. Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Blumen über das Osmanische Reich und das von den Habsburgern beherrschte Heilige Römische Reich nach Holland gelangten.

Tulpen-Hausse.
Einen gewichtigen Beleg dagegen sehen Bermejo und García in der sogenannten Tulpenmanie: Da es in Al-Andalusien keine schriftlichen Zeugnisse für diese Periode gebe, müssten die Zwiebelblumen von dort nach Mitteleuropa gelangt sein, und nicht umgekehrt. Im 17. Jahrhundert war in Holland die Begeisterung für die orientalischen Pflanzen so groß, dass Tulpen extrem hohe Preise erzielten. Ihr Wert stieg zwischen 1623 und 1637 von 1.000 auf 10.000 Gulden, bis er sich nach einem "Börsencrash" wieder normalisierte.

Lale - Frühlingsbote aus Anatolien. Bisher ist man eigentlich auch davon ausgegangen, dass turkmenische Nomaden im 13. Jahrhundert die "Tränen des Orients" nach Anatolien brachten. Ob das noch so angenommen werden kann, ist angesichts der spanischen Forschungsarbeiten und Entdeckungen fraglich. Jedenfalls blühen in diesem Teil der Türkei die Nachkommen dieser Urzwiebeln bis heute wild in Hochlagen ab 1700 Metern. Es sind einfache, robuste Bergblumen. Doch die Nomaden verehren sie als Vorboten des nahenden Frühlings, Symbole des Lebens und der Fruchtbarkeit. Im 16. Jahrhundert erobert die Tulpe Konstantinopel, das heutige Istanbul. Nach kurzer Zeit schmückt sie nicht nur die Gärten der Stadt, sondern auch die Wände der Moscheen und Paläste. Bald wird die Tulpe zum Lieblingsmotiv türkischer Künstler. "Lale", die Tulpe, ist ihnen heilig: In der alten osmanischen Schrift besteht ihr Name aus den gleichen Buchstaben wie das Wort "Allah".

Karlsruher Tulpenbuch.
Im 16. Jahrhundert ruft fast jede neue Pflanze große Begeisterung hervor. Gelehrte beschreiben und erfassen erstmals systematisch Flora und Fauna. Bei ihnen erregt besonders die Tulpe großes Aufsehen. Blumenzucht und Blumenmalerei waren eine zeittypische Liebhaberei barocker Fürsten. Insbesondere die Tulpe erfreute sich wegen ihrer fast unübersehbaren Sortenvielfalt größter Beliebtheit. Das prächtig illustrierte Tulpenbuch des Markgrafen Karl Wilhelm von Baden-Durlach zeugt denn auch von der Tulpenbegeisterung, die sich im 17. und 18. Jh. in Europa verbreitete. Die Tulpenbücher dienten als Kataloge zur Bestandsaufnahme und als Werbemittel.

Carolus Clusius. Als einer der begnadetsten Botaniker seiner Zeit gilt der Franzose Charles de l'Escluse, auch Carolus Clusius genannt. Charles de l´Ecluse wurde am 19.2.1526 in Atrecht in der Grenzregion zwischen den Niederlanden und Frankreich geboren. Der Gepflogenheit der Humanisten entsprechend, nahm er den lateinisierten Namen Carolus Clusius an. Er studierte zuerst Rechtswissenschaften, später Philosophie und Medizin, die damals ein besonders enges Verhältnis zur Botanik hatte. Seine große Vorliebe für die Botanik machte ihn bald in allen Fachkreisen bekannt, sodass er einer Berufung als Hofgärtner an den Hof Kaiser Maximilians II. nach Wien folgte.

Intolerante Gegenreformation. Im Jahre 1576 entlässt jedoch der katholische Habsburger Rudolf II., Sohn von Maximilian II., alle Angestellten mit protestantischem Glauben und somit endet auch die Anstellung des Protestanten Carolus Clusius als Hofbotaniker am Wiener Kaiserhof. Er findet hingegen in Balthasar Batthyány, dem ungarischen Palatinstellvertreter und Burgherrn von Güssing, einen Freund und Förderer. Er beginnt mit Unterstützung der Errungenschaften der angebrochenen Neuzeit sein Wirken im damals von Kriegswirren betroffenen Südburgenland. Mit der Erstellung von Listen pannonischer Pflanzen, mit der Beschreibung ihrer Standorte und mit der erstmaligen Aufzählung von Pilzen gilt er auch als der Gründer der Pilzkunde (Mykologie). Er beschrieb erstmals 105 Großpilze Pannoniens. Clusius stellte auch die erste systematische Aufzählung der Pflanzen der Region zusammen. Im "Nomenclator pannonicus" sind über 530 Arten alphabethisch nach den lateinischen Gattungsnamen geordnet und beschrieben. Weiters befasste sich Clusius mit versteinerten Hölzern, römischen Grabinschriften, mit exotischen Vogelbälgen und mit Bienen.

Botanische Globalisierung.
Seiner Liebe zu exotischen Pflanzen verdanken wir viele Einbürgerungen in Europa. So sind von ihm damals Kartoffel und Tabakpflanzen aus Amerika kultiviert worden. Auch den Flieder, die Rosskastanie und die Platane soll Clusius zu uns gebracht haben. Aus Konstantinopel hat Clusius weiters Samen und Zwiebeln der Kaiserkrone, von Tulpen, Narzissen, Schwertlilien und Hyazinthen bezogen. Die neuen spanischen Erkenntnisse lassen jedoch Zweifel aufkommen, ob die Tulpe tatsächlich erst mit Clusius nach Mitteleuropa gekommen sein kann.

Leiden. Als Präfekt des Hortus Botanicus in Leiden, der bis zum heutigen Tag besteht, pflanzte Carolus Clusius 1593 eine Tulpenzwiebel in diesem botanischen Garten. Im Frühjahr 1594 blühte dort die erste Tulpe; sie markierte den Beginn der Blumenzwiebelkultur in den Niederlanden. Eine Kultur, die turbulente Zeiten kannte. Das Pflanzenmaterial für seinen Garten erhält der Gelehrte und Sammler unter anderem aus Konstantinopel. Nach kurzer Zeit verbreitet sich die Kunde von der blühenden Pracht. Doch die seltenen Tulpen wecken auch Begierden: Allein 1596 werden 100 Stück aus dem Hortus Botanicus gestohlen, was zur Verbreitung der kostbaren Blumen in der ganzen Region führt. Aber nicht nur Diebe, sondern auch bettelnde Forscherkollegen machen Clusius zu schaffen. So schreibt er 1598 verzweifelt an einen Freund: "So viele fragen danach, dass ich, wollte ich jeder Forderung nachkommen, vollkommen meiner Schätze beraubt wäre, und andere reich wären." Zumindest an ausgewählte Blumenfreunde in Europa verschickt er einige Samen und Knollen, und so trat die Tulpe ihren Siegeszug durch Europa an - als Diebesgut oder als Geschenk unter Gelehrten.


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